07.10.15 20:52
Velvetnicht registriert
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Veränderungen in der Flora von Madeira
Nabend zusammen,
die Überschrift des Themas mag vielleicht etwas missverständlich sein, aber mir fiel nichts besseres ein. Es geht hier also nicht um eine Veränderung hinsichtlich der Artenzusammensetzung sondern mehr um die Veränderungen hinsichtlich der Häufigkeit und der Fundortangaben einzelner Arten.
Zunächst einmal mag es vielleicht etwas merkwürdig erscheinen, dass jemand, der erst fünfmal auf Madeira war, irgendwelche Angaben zu einer möglichen Veränderung der Pflanzenwelt machen möchte. Und tatsächlich wäre es auch viel aussagekräftiger, wenn sich jemand dazu äußern würde, der die Flora der Insel sehr gut kennt und sie schon seit sehr vielen Jahren beobachtet. Mag auch gut sein, dass die angesprochenen Veränderungen schon von anderen Leuten festgestellt wurden, allerdings habe ich diesbzüglich noch keine Veröffentlichungen finden können.
Man kann als "Insel-Neuling" aber dennoch einige Anmerkungen dazu machen. Voraussetzung dafür ist dann aber, dass man über eine sehr gute und wissenschaftlich exakt verfasste Vergleichsliteratur verfügt. Und da gibt es für Madeira zum Glück ein relativ aktuelles Standardwerk, nämlich die "Flora of Madeira" von J.R.Press und M.J.Short aus dem Jahr 1994. Dieses Werk hatte ich schon das eine oder andere Mal erwähnt, jedoch aus folgenden Gründen nie vorgestellt: 1. Es handelt sich um eine 574-seitige Schwarte, die auf englisch verfasst und zudem mit zahlreichen Fachausdrücken vollgestopft ist. 2. Als Bestimmungsbuch ist es nur für jemanden geeignet, der sich mit diesen Fauchausdrücken und der Verwendung eines dichotomen Bestimmungsschlüssels auskennt. 3. Bilder gibt es überhaupt keine, nur einige Strichzeichnungen am Ende des Buches. und 4. Ich wollte nicht wieder von irgend jemandem Schläge angeboten gekommen...
Darüber hinaus war dieses Buch eine ganze Zeit lang vergriffen und ich habe es nur zufällig in einem Antiquariat günstig erwerben können. Anscheinend ist es allerdings wieder neu aufgelegt worden, da man es zumindest bei Thalia für fast 60 Euro bestellen kann.
Wie schon erwähnt enthält diese Buch einen knappen Bestimmungsschlüssel, der zu den einzelnen Arten führt. Für jede Art gibt es dann auch noch eine etwas genauere Beschreibung sowie weitere Angaben, beispielsweise zu den Blühzeiten und der Verbreitung auf der Insel.
Woher haben die beiden Autoren nun all diese Informationen? Natürlich werden sie das eine oder andere Mal auch auf den Inseln gewesen sein, um sich ein Bild von der dortigen Vegetation zu machen. Üblicherweise greift man bei der Erstellung eines solchen Werkes neben den eigenen Erfahrungen aber vor allem auch auf zwei weitere Quellen zu. Nämlich auf bereits vorhandene Literaturangaben sowie auf Herbarbelege, das heißt auf Pflanzensammlungen, die in der Regel in zahlreichen verschiedenen Museen vor sich hin schlummern. Eine sehr mühselige Arbeit, die nur wenige auf sich nehmen...
Auf diese Weise wurden neben den eigenen Erkenntnissen auch zahlreiche Literaturangaben und Herbarbelege aus mehr als zweihundert Jahren ausgewertet und in diesem Buch zusammengefasst. Daher gibt es durchaus zu einigen Arten auch Hinweise, dass sich ihre Verbreitung im Laufe der Zeit deutlich verändert hat. Dabei handelt es sich allerdings mehr um "historische" Angaben, ich möchte hier aber etwas zu auffälligen Veränderungen schreiben, die sich anscheinend innerhalb der letzten Jahre vollzogen haben.
Inzwischen habe ich schon mehrere Abweichungen zu den Angaben in der "Flora of Madeira" machen können, werde mich hier aber auf die auffälligsten beschränken. Und was als erstes ins Auge fällt, es sind vor allem die Arten des Offenlandes betroffen. Für die Arten, die beispielsweise auf den Lorbeerwald oder auf Felswände beschränkt sind, lassen sich kaum nennenswerte Abweichungen feststellen.
Aber hier mal ein paar Beispiele, wo ich die extremsten Abweichungen im Verleich zu den Literaturangaben feststellen konnte:
1. Die Gefleckte Waldwurz (Neotinea maculata), die in einer Höhe von 600-1200 Meter vorkommen soll, haben wir schon während unseres ersten Urlaubs in einer Höhe von 1600 Meter gefunden. 2. Die Sommerwurz-Arten (Orobanche sp.) sollen vorwiegend auf die Küstenzone beschränkt sein. Tatsächlich wird man von ihnen aber bis die Gipfelregionen förmlich erschlagen. 3. Die Nanteuil-Felsennelke (Petrorhagia nanteuilii) soll vor allem im Südosten der Insel vorkommen, in einer Höhenlage von 50-250 Meter. Tatsächlich ist sie aber auch gar nicht selten beispielsweise am Pico Arieiro zu sehen. 4. Die Sparrige Distel (Carduus squarrosus) soll ein seltener Endemit der Küsten- und der unteren Lorbeerwaldzone sein. Aber auch sie haben wir im Hochgebirge gefunden. 5. Der Madeira-Augentrost (Odontites holliana) wird häufig als eine der seltensten Pflanzen Madeiras bezeichnet. Tatsächlich ist er im Gebirge recht häufig zu sehen.
Diese abweichenden Beobachtungen aufzuzählen ist die eine Sache, viel interessanter ist allerdings mögliche Erklärungen dafür zu finden.
Die einfachste Erklärung wäre, dass die Leute früher nicht so genau hingeschaut haben oder vielleicht gar nicht in den Bergen waren. Das ist allerdings höchst unwahrscheinlich. Zugegeben, vor 200 Jahren war es sicherlich nicht so einfach ins Hochgebirge zum kommen wie heutzutage, aber davon hat sich sicher kein Naturwissenschaftler abhalten lassen. Und es gab auch damals schon viele gute Botaniker, die zahlreiche Funde aus diesen Regionen zusammengetragen haben...
Im Zusammenhang mit den Sommerwurzen hatte MacMurphy hier im Forum schon einmal Prof. Schön zitiert, der dies mit den häufigen Waldbränden in Verbindung gebracht hat. Die ist sicherlich eine mögliche Erklärung, da durch die Brände neue Standorte entstehen, die sehr schnell von solchen Arten besiedelt werden können. In den Gipfelregionen Madeiras gibt es aber schon seit langem keine richtige "Waldvegetation" mehr und so ist diese Erklärung hier auch nicht ganz so zufriedenstellend.
Der Klimawandel ist sicherlich auch an Madeira nicht spurlos vorüber gegangen, aber dass die Gipfelregionen der Insel dadurch für "wärmeliebendere" Arten so schnell schon attraktiver geworden sein sollen, kann ich mir nicht wirklich vorstellen. Haben da selber schon das eine oder andere Mal erbärmlich gefroren...
Viel wahrscheinlicher ist die Erklärung, dass viele Arten von dem Beweidungsverbot profitieren, das in vielen Gebieten zum Schutz der Natur ausgerufen wurde. Wenn man sich beispielsweise auf der Hochebene Paul da Serra oder im Bereich Fanal tummelt, kann man sich sicher gut vorstellen, dass die Hochlagen von Madeira, die noch vor einigen Jahrzehnten ähnlich intensiv beweidet wurden, ebenfalls sehr artenarm waren. Und die oben erwähnten Arten, neben einigen anderen, konnten dort früher nicht gefunden werden bzw. waren sehr selten, da sie augfgrund der Beweidung dort gar nicht wachsen konnten bzw. an nur sehr unzugänglichen Stellen überlebt haben.
Ist zumindest für mich die einleuchtendste Erklärung.
Gruß Velvet
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