01.10.20 17:30
Torwarttrainer ![](styles/forum-madeira.de/images/1.png) ![](styles/forum-madeira.de/images/1.png) ![](styles/forum-madeira.de/images/1.png) ![](styles/forum-madeira.de/images/1.png) Madeira-Riesenfingerhut
|
Re: Neuauflage Taschenbuch - Madeira maravilhosa - Wunderbares Madeira
Boa tarde Stefunie,
vielen Dank für Dein Interesse. Ganz kurz etwas über uns, die Verfasser: Meine Frau Eva und ich sind seit 1970 zu Gast auf Madeira und die Freundschaft mit Einheimischen wird immer noch gepflegt. Anbei für Dich und natürlich auch für alle anderen Madeirenses hier im Forum, eine überarbeitete Episode meines Buches.
Madeira maravilhosa
Adeus: Tiago
Schlechte Erfahrungen Hausmusik Praia dos Reis Magos
"Senhora Bela, jogar as cartas?" Normalerweise lässt Senhora Bela auf diese Frage alles liegen und stehen und ist sofort zum Karten spielen bereit. Sie sitzt an der Hausecke, unter der Laube, und ist mit einer sehr diffizilen Stickerei beschäftigt, die ihr schon so manchen Seufzer entlockt hat. Aufmerksam legt sie die Tischdecke in den Korb und setzt sich zu uns an den Tisch. Eva, meine Frau, mischt die Karten und beginnt mit dem Ausgeben. Zu viert spielen wir Casino über Kreuz. Die beiden Frauen gegen uns Männer, José und mich. Und gleich geht es emotional zu, denn "Menina" geht für die Frauen verloren, das bedeutet zwei Sonderpunkte für uns Männer. Nach etwa 30 Minuten Kartenspielen, ich sollte die Karten neu mischen, stelle ich die Frage, die mir seit der Traubenernte vor ein paar Tagen keine Ruhe lässt. "Warum haben einige Madeirenser kein Vertrauen zu uns Deutschen? Was ist hier auf der Insel im Argen?" Umberta und José schauen sich zunächst an und dann antwortet mir José: "Zunächst werde ich dir sagen, was eine kleine Gruppe, vorwiegend junger Leute im Sinn hat. Sie haben das Bestreben, Madeira vom Mutterland zu lösen und so die Unabhängigkeit zu erlangen. Der größere Teil der Inselbewohner, zu denen auch wir uns zählen, plädiert aber für eine autonome Region Madeira. Beides, sowohl die Unabhängigkeit als auch eine Autonomie, wird von Marcelo Caetano strikt abgelehnt." Er atmet tief ein und spricht dann weiter. "Das Misstrauen gegen alle Deutschen basiert auf eurer Vergangenheit. Auf der Diktatur und auf den Gräueltaten, die von deinem Heimatland ausgegangen sind. Die schreckliche Zeit des Krieges in Europa ist zwar schon mehr als 25 Jahre vorüber, aber bei einigen von uns noch nicht vergessen. Zumal auch wir uns noch im Kriegszustand mit Angola und Mosambik befinden und eine despotische Regierung haben. Beides belastet uns sehr." Es gibt zwar alle paar Jahre Wahlen, aber bei nur einer Partei keine Alternativen. Nur über die zu wählenden Männer kann abgestimmt werden. Noch immer werden Oppositionelle klein gehalten oder ohne Gerichtsverfahren eingesperrt. Seit einigen Minuten sitzt auch Senhor Carlos, der seinen abendlichen Rundgang durch das Anwesen beendet hat, mit am Tisch. Er und Senhora Bela erzählen uns nun aus ihrer Vergangenheit. "Ich bin hier oben aufgewachsen, Senhor Carlos in Porto da Cruz. Er kam 1920 über die Berge hierher nach Santo António. Zwei Jahre danach haben wir geheiratet und wohnen seitdem hier in meinem Elternhaus, auf unserem Grundstück. Benvinda, unsere Älteste, kam 1929, da war ich schon 28 Jahre alt und Senhor Carlos ein Jahr älter, zur Welt. Ein arbeitsreiches Leben mit vielen Entbehrungen und Nöten. Da wir aber auf dem eigenen Land wohnten, mussten wir nie richtigen Hunger leiden. Eine Ziege, ein Schwein im Stall, Hühner, Kartoffel, Gemüse, Obst und genügend Wasser, es ließ sich meistens einigermaßen aushalten." Senhora Bela wischt sich mit einem Stofftuch die Augen und nimmt eine Prise Schnupftabak aus einer Dose. "Na ja, mitunter gab es nur Kartoffeln und Gemüse oder nur gekochten Maisbrei." "Wenn es keine Möglichkeit gab, um unsere Erzeugnisse zu verkaufen, kamen auch keine Escudos in die Haushaltskasse. Also auch kein Fisch auf den Tisch, mitunter ein Huhn in die Suppe", ergänzt Senhor Carlos und bedient sich ebenfalls mit Daumen und Zeigefinger am Schnupftabak.
"Zunächst verdingte ich mich als Tagelöhner auf verschiedenen Quintas. Nach einiger Zeit bekam ich dann in einer Bäckerei eine Arbeitsstelle als Hilfskraft und arbeitete später dann am Ofen. Erst hier bei diesem Arbeitgeber war ich kranken- und rentenversichert. Die Nachtarbeit als Bäcker ließ mir genügend Zeit, um tagsüber die Arbeiten an unserem Haus und in der Plantage zu verrichten. Die Mithilfe von Senhora Bela und der älter werdenden Kinder erlaubte es mir, bis zum Erreichen des Renteneintritts berufstätig zu sein."
Nun möchte Eva auch eine Prise Schnupftabak, bekommt das Döschen gereicht und tut es den Hausleuten nach. "Bom?" "Bom!"
"Auch wir Frauen und Mädchen trugen durch unsere Stickerei zu der Bereicherung der Haushaltskasse bei", meldet sich Senhora Bela wieder zu Wort. "Aber nun ist es genug mit dem Trübsal, auf Senhor Carlos, los José , macht noch etwas Musik, ich möchte singen." Vor dem Haus unter den Reben beginnt ein lauer Abend. Die Hühner sitzen ruhig, sie scheinen schon zu schlafen. Die Schäferhündin Maravilha liegt auf der warmen Erde unter dem Feigenbaum. Die Kinder Pedro, Lydia und Paulo sitzen andächtig beieinander, sie wissen scheinbar schon, was nun kommt. Ruhe kehrt ein. José mit der Mundharmonika und Senhor Carlos mit der viersaitigen Gitarre stimmen sich ein, machen ihre Musik. Zunächst singt nur Senhor Carlos, nach einigen Minuten setzt Senhora Bela ein. Im Duo erzählen sie von den Mühen und Sorgen des Alltages. Nach einiger Zeit fallen beide in einen Wechselgesang, der über Lustiges und Kapriolen des ländlichen Lebens berichtet. Wir Zuhörer, Umberta, die inzwischen den eingeschlafenen Paulo auf ihrem Schoss sitzen hat, Eva, die die gesungenen Geschichten einigermaßen gut versteht und ich, mit der Schwierigkeit den Worten zu folgen, sind lustig, lachen und applaudieren dem Dargebotenen. Lydia hat sich bei ihrem Bruder angelehnt und lächelt zaghaft mit, während Pedro einige Passagen mitsingt und kräftig Beifall klatscht. Nun verstummen die Sänger, die Musiker spielen nicht mehr, es ist absolute Ruhe. Umberta übergibt ihren tief schlafenden Sohn an meine Frau. Eva kuschelt ein wenig mit Paulo und wiegt ihn sanft. Übt sie schon? Senhor Carlos streichelt sein Rajão, Umberta gleitet zart und ruhig mit ihrem Gesang in eine Stimmung, für die Portugiesen das Wort „Saudade“ haben. Kennen wir Mitteleuropäer eine sinnvoll beschreibende Übersetzung für „Saudade“? Uns bleibt nur die Andacht, das ehrfürchtige Zuhören.
Am nächsten Tag fahren Eva und ich über São Gonçalo nach Caniço und am späten Nachmittag weiter hinunter ans Meer. Eine einfache Straße endet an den beiden Hotelanlagen, Residência Galomar und Residência Alpino Atlantico, hier parken wir unser Leihauto und gehen über Fels und Stein zur Praia dos Reis Magos. In einem Schuppen (Bretterlokal), von zwei jungen Männern bewirtschaftet, lassen wir uns Sardinhas fritas e Milho frito e uma Garrafa Vinho do Pais schmecken, muito bom.
|