Roberts Eiskraut scheint ja ziemlich zu interessieren. Es scheint ja auch unzählige verschiedene Arten zu geben. Das cardifole in Frankreich ist wie ich das richtig sehe ein anderes als unseres und geht eher als Spinat durch. Es gehört zu meinen Lieblings-"Blumen" auf Madeira. Aber was ist es denn jetzt: Blume oder Gemüse, oder lassen wir es unter "Sonstiges"?
Auch wenn der Beitrag schon länger zurückliegt, will ich mich dennoch noch einmal einklinken. Mir sieht es so aus, als handele es sich bei Roberts Fund nicht um die Kristall-Mittagsblume (Mesembryanthemum crystallinum),
sondern um die Knotige Mittagsblume (Mesembryanthemum nodifolium).
Im letzten Bild kann man beide direkt vergleichen.
Meine Bilder stammen von La Gomera, wo die Art häufiger und besser ausgebildet vorkommt als auf der Ponta de São Lourenço (dort ist mir die Pflanze 1985 zum ersten Mal aufgefallen, ohne dass ich wusste, was es ist; sie fand sich am Beginn des Anstieges zum Morro do Furado unter Felsplatten; also ein wenig beschattet).
Die genannten Mittagsblumen sind aus ökologischer Sicht höchst interessant, weil sie die extremen Probleme ihres Habitats (Lebensraumes) auf vielfältige und verblüffende Weise gelöst haben. Sie sind folgenden (lebensbedrohlichen) Situationen ausgesetzt:
1. Die intensive Sonneneinwirkung (energiereiche UV-Strahlung) führt zu „Sonnenbrand“ bzw. zur Schädigung der Erbsubstanz (DNA). Ökologische Anpassungsstrategie: Einlagerung von Farbstoffen (z.B. die rot-violetten Betacyane). Sie absorbieren bestimmte Wellenlängen, wodurch eine Schädigung der Proteine in der Zelle und der DNA in den Zellkernen verhindert wird. Außerdem besitzen sie eine Oberfläche, die die Strahlung reflektiert.
2. Infolge hoher Temperaturen und geringen Niederschlägen gibt es Hydraturprobleme (Austrocknungsgefahr). Ökologische Anpassungsstrategien: • Blattsukkulenz: Die Kristall-Mittagsblume bildet fleischig verdickte Blätter aus, in denen Wasser als Reserve für die Trockenperioden gespeichert wird. • Sprosssukkulenz: Speicherung von Wasser ist auch im fleischig verdickten Spross bei der Knotenblütigen Mittagsblume möglich. • Oberflächenverkleinerung durch Verzicht auf Blätter (bei der letztgenannten übernimmt der Spross die Photosynthese-Funktion).
3. Mit hoher Temperatur, geringen Niederschlägen und salziger Umgebung (Meeresnähe) verbundene, zusätzliche Hydraturprobleme (Austrocknungsgefahr). Ökologische Anpassungsstrategien: • Salzsukkulenz: Ein Überleben unter dem in Küstennähe auftretendem Stress, erweist sich als besonders schwierig. Zusätzlich zum „normalen“ Wasserstress des sommerlichen Madeiras kommt in Küstennähe noch folgendes Problem hinzu: Durch Meeresgischt ist der Boden versalzen – somit auch das Bodenwasser. Wasser diffundiert in lebenden Zellen immer zum Ort der höher konzentrierten Lösung. Unter normalen Bedingungen herrscht in Pflanzen ein Konzentrationsgradient: Die höchsten Ionenkonzentrationen finden sich in den Blättern, die geringsten in den Wurzeln. Da die Konzentration in den Wurzelzellen jedoch höher als die der Bodenlösung ist, wird Wasser auf osmotischem Weg aus dem Boden in die Wurzeln und von dort nach oben transportiert (passiver Stofftransport). Ist das Bodenwasser nun versalzen, droht eine Umkehr des Wassertransportes; hinaus aus der Pflanze und hinein in den Boden. Dieser tödlichen Gefahr entgehen die Mittagsblumen durch folgende Strategie: Osmotisch wirksame Salze (v.a. Natrium und Magnesium) und Säuren werden – entgegen dem Konzentrationsgradienten – aktiv in Speicherzellen (das sind die auf Roberts Ausschnittsbild gut zu erkennenden „Blasenzellen“ an der Pflanzenoberfläche) aufgenommen. Dadurch bleibt das osmotische Gefälle erhalten und die Pflanzen nehmen weiterhin Wasser aus dem Boden (und auch der Luft) auf. Anpassungspreis einer hohen Salzkonzentration in Pflanzenzellen: Veränderungen von Membranpotentialen und Enzymeigenschaften mit der Folge, dass das Wachstum der Pflanzen zurückbleibt und zu stark salzhaltige Pflanzenteile absterben. Da es an solch extremen Standorten aber keine Konkurrenz „normaler“ Pflanzen gibt, spielt dieser Nachteil keine Rolle. Man kann sich vom stark salzhaltigen Geschmack dieser „Halophyten“ überzeugen (sollte das aber nicht gerade auf Madeira machen, wo die Arten sehr selten sind). Die Blasenzellen ähneln etwas Eiskristallen (siehe mein erstes Bild), was der Pflanze im Volksmund den Namen „Eiskraut“ eingebracht hat. Die hohe Konzentration von Salzen hat dazu geführt, die Pflanzen wirtschaftlich zu nutzen (z.B. bei der Herstellung von Soda). Dies hat wesentlich zu ihrer (Fast-)Ausrottung beigetragen: Wegen ihrer speziellen Anpassungsmechanismen wachsen die Pflanzen sehr langsam.
4. Folgendes Problem tritt bei solch lebensfeindlichen Umweltbedingungen immer wieder auf (und wird bei den Mittagsblumen auf elegante Weise gelöst): Bei Pflanzen mit extremem Wasserstress können zwei Regelkreise in Konflikt geraten. Der für den Wasserhaushalt zuständige Regelkreis wird tagsüber ein Öffnen der Spaltöffnungen (Stomata) „verbieten“, um das wenige Wasser nicht noch zu verlieren. Dem steht der Anspruch des Photosynthese-Regelkreises entgegen, der tagsüber ein Öffnen der Stomata „fordert“, um Kohlendioxid für die Herstellung energiereicher, organischer Kohlenstoffverbindungen (Zucker) aufnehmen zu können. (Bei unseren einheimischen Pflanzen kommt es nur selten zu diesem Konflikt, weil meistens genügend Bodenwasser vorhanden ist). Der geniale Kompromiss der Mittagsblumen sieht folgendermaßen aus: Nachts – bei geringer Verdunstungsgefahr – werden die Stomata geöffnet und das gasförmige (aber nicht speicherbare) CO2 kann aufgenommen werden. Das nützt den Pflanzen zunächst nichts, denn die CO2-Verarbeitung ist ja lichtabhängig. Das Kohlendioxid wird nun in flüssige (und damit speicherbare) Äpfelsäure umgewandelt – und kann damit in den Pflanzenzellen eingelagert werden. Tagsüber werden die Spalten geschlossen, die Äpfelsäure wird wieder in gasförmiges Kohlendioxid zurückverwandelt und die (lichtabhängige) Photosynthese kann dennoch ablaufen.
Auf diese Weise wird der Wasserverlust um bis zu 90% vermindert! Diese Strategie sieht so verlockend aus, dass man sich fragt, warum sie nicht von allen Pflanzen genutzt wird. Der Haken liegt darin, dass die Umwandlungsprozesse energieaufwändig sind. Das führt zu langsamerem Wachstum. Ist also genügend Wasser vorhanden, wachsen die „normalen“ Pflanzen schneller und verdrängen die C4-Pflanzen (so genannt, weil die Äpfelsäure ein C4-Körper ist). Mit anderen Worten: Der C4-Weg rechnet sich nur dann, wenn die Konkurrenz der C3-Pflanzen (bei normaler Photosynthese entsteht als Zwischenprodukt ein C3-Körper) nicht vorhanden ist.