15.07.15 15:59
Torwarttrainer     Madeira-Riesenfingerhut
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Re: Persönliche Erinnerung aus den frühen siebziger Jahren
von trübem Wein, reißendem Wasser und exklusivem Nachtlager
Boa tarde
Zum Einlaufen, für uns Wanderer von der Bergstraße, ist die Levada do Castelejo das richtige Maß. Ab Cruz, hier parken wir das Mietauto bei Senhora Curacao, einer Schwester von Senhor Carlos, bis zur Madre ist für Silvester ein Stück Heimat. Hier verbrachte er seine Kindheit, bevor er zum Liceu und danach zur Ausbildung bei der Stadtverwaltung in Funchal, zu seinem Onkel umziehen musste. "Hier, dieses Feld gehört unserer Familie," erklärt er uns. "Diese Stufen am Hang habe ich mit meinem Bruder in jedem Frühjahr wiederherstellen müssen. Der Regen schwemmte, in den Wintermonaten, viel Mutterboden nach unten, so dass eine Bepflanzung nicht angebracht war." Wir steigen hinab zum Curral in dem, noch heute, eine einzige Kuh seiner Eltern steht. Zwei Ziegen, mit einem Seil am Pflock befestigt, weiden außerhalb und lassen sich von uns streicheln. Die Levada ist wirklich eine der leichteren. An einigen Stellen ausgesetzt (ohne Seilsicherung) an anderer Stelle die Levadamauer etwas abgebrochen, ist diese Strecke gut zu bewältigen. An der Fassung setzen wir uns auf die großen Steinen und stärken uns, mit dem Mitgebrachten, für den Rückweg. Die Eltern von Silvester erwarten uns schon mit einem Vesper, von allem was das Haus zu bieten hat, sehr schmackhaft und ausreichend. Nur der Wein fehlt. Selbstverständlich frage ich danach und bekomme von Senhor Isidro folgende Auskunft: "Unser Vinho ist nicht lange haltbar, jetzt im Sommer ist er schon etwas zäh und da er nicht gefiltert wurde auch sehr trüb. So können wir ihn unseren Gästen nicht mehr anbieten." "Was machen Sie mit dem Wein, trinken Sie noch selbst davon? Wenn ja, so trinken auch wir", antworte ich. Eva stimmt mir zu. Wir verbringen einen lockeren Spätnachmittag unter einer Laube an der Levada do Castelejo.
"Was habt ihr, Tiago und du, am kommenden Wochenende geplant?", wird Eva von Umberta, beim Frühstück am Donnerstag gefragt. "Nach der Wanderung von gestern an der Levada do Castelejo, möchte Silvester und seine Frau, morgen mit uns eine große Tour gehen. Für den Samstag und den Sonntag haben wir noch keine Pläne besprochen", gibt Eva ihr zur Antwort. "Das scheint ja zu passen", sagt Umberta. "Wir laden euch ein zu einem zweitägigen Ausflug nach Ponta Delgada, mit einer Übernachtung am Ort. Näheres besprechen wir am Abend wenn Jose zu Hause ist." "Schön, das können wir gemeinsam unternehmen. Ich denke dass auch Tiago zustimmt", antwortet Eva. "Für heute ist zunächst kleine Wäsche und Spaziergang auf den Pico dos Barcelos angesagt." "Wenn du nur Handwäsche hast, gib sie meiner Mutter, Senhora Bela, sie wäscht immer Donnerstags am Waschstein unsere Kaltwäsche. Du kennst ja inzwischen wie wirksam unsere Madeiraseife ist", empfiehlt Umberta. "Übrigens ist der Donnerstag seit jeher schon Waschtag gewesen. Schon wir Kinder gingen mit den Frauen zum Ribeiro. Oberhalb der Ponte do Sao Roque wurde gewaschen, auf den großen Steinen die Wäsche zum Trocknen und Bleichen ausgelegt." Während Umberta dies erzählt setze ich mich zu ihnen an den Tisch. Umberta spricht weiter von reißendem Wasser, dass nach heftigem Niederschlag in den Bergen, nicht nur Wäsche, sondern auch Behausungen der Ärmsten, die im Flussbett wohnten, fortgeschwemmt wurden. Ja, es hätte auch schon Vermisste und Tote gegeben.
Am Samstag geht es schon in der Früh los, haben wir doch einen weiten Weg vor uns. Wir fahren den Anderen, die mit drei Autos unterwegs sind, hinterher. Wir fahren über Poiso, da ab Santana Senhora Fernanda, eine Schwester von Senhor Carlos und deren Mann, Senhor Rodrigo, mitfahren. Wer die kurvenreiche Strecke und die Straßenverhältnisse kennt, weiß dass wir einige Stunden bis Ponta Delgada unterwegs sind. Mit dem vollbepackten PKW hinter einem Lastwagen oder dem Linienbus herschleichen, schwer überholen können, zu wenig PS unter der Motorhaube, da ist Geduld gefragt. Eva sitzt hinten rechts, Pedro hinter mir und Senhor Carlos, sein Opa, auf dem Beifahrersitz. Den Hut natürlich auf dem Kopf, auch sehe ich dass sich sein Schnurrbart ständig leicht bewegt. Was geht in diesem erfahrenen Mann vor? Ist es die Vorfreude auf Festa do Senhor Bom Jesus? Senhor Carlos erzählt dass, in manchen früheren Jahren, oft bis nahezu dreißig Personen, Erwachsene und Kinder, aus seiner Nachbarschaft, zu diesem Fest aufgebrochen sind. Alle hätten, das ganze Jahr über, in eine Kasse einbezahlt um genügend Autos mit Fahrer anmieten zu können. Verpflegung für unterwegs und Getränke wurden, genau wie heute, mitgeführt. Immer schon am Samstag hin und Sonntags nach der Messe zurück. Auf meine Frage, wie und vor allem auch wo denn die Übernachtung vorgesehen ist, bekomme ich, wie schon von Jose, nur eine ausweichende Antwort.
Na endlich, nach einem längeren Aufenthalt in Santana, erreichen wir, am späten Nachmittag, unser Ziel. Es scheint als wäre die gesamte Bevölkerung der Insel hier versammelt. Die Gemeinde hat scheinbar für alles vorgesorgt. Die Grillstellen sind schon nahezu bereit den Espetada zu garen. Die Bäcker formen die Laibe für Bolo do Caco. Der Vinho de Mesa ruht noch gekühlt in den Behältern. Die Musikkapelle, auf dem Pavilhao vor der Kirche, spielt ihre Stücke. Mal zu laut, mal einfühlsamer. Die vielen Kinder finden Gelegenheit zu spielen was ihnen gefällt. Bekannte, die sich schon lange nicht mehr gesehen haben, umarmen und küssen sich zur Begrüßung. Rundum, ein Fest, das erlebt, das ganz einfach mitgefeiert werden muss.
Nach dem feierlichen Hochamt, am späteren Abend, bei dem die Kirche und der Platz davor, von Gläubigen, überfüllt ist, beginnt für einige der Besucher der scheinbar wichtigste Teil. An vielen Stellen im weiten Rund ertönt Musik. Handgemachte Musik. Frauen, Kinder und auch einige Männer tanzen und singen dazu. Von überall her erklingt Bailinho da Madeira und die Folkloregruppen haben jetzt ihre hohe Zeit.
Schon ist der Samstag Vergangenheit, ich frage Jose nach unseren Frauen und seinen Kindern. "Die sind alle mit Senhora Bella im Nachtlager", ist seine Antwort. Stimmt, das Nachtlager, daran habe ich seit langem nicht mehr gedacht. Wo werden wir schlafen? Zunächst aber suchen wir nach Senhor Carlos. "Ihn zu finden ist nicht schwer", meint Jose. "Wir gehen dahin wo noch Musik gespielt wird." Ja, sicher, hier ist er dabei. Den Hut zurückgeschoben, so das graue, verschwitzte Haare auf seiner Stirn sichtbar sind, ist Senhor Carlos in seinem Element. Seine Rajao lässt er nicht ruhen. Verschmitzt zwinkert er uns zu. Sein Lächeln ist uns nur zu gut bekannt. "Hm, da wird es spät", wende ich mich an Jose. "Ja, auf ihn brauchen wir nicht zu warten", erwidert er. "Komm wir gehen uns ausruhen." Nun bin ich aber sehr gespannt, wo werden wir uns "ausruhen"? Jose führt mich zum Kirchenportal, im inneren flackern die Kerzen und schlafen viele Besucher. Sitzend und liegend, wo gerade Platz ist, haben sie sich niedergelassen. Auch unsere Angehörigen sind dabei. Gleich hier, seitlich am Eingang, hier ist die Luft besser, liegen sie. Ich lege mich zu Eva, die etwas zur Seite rutscht, und versuche zu schlafen. Sie flüster mir ins Ohr: "Gute Nacht, schlafe gut in diesem exklusivem Nachtlager."
Madeira maravilhosa
Adeus: Tiago
Zuletzt bearbeitet am 10.01.16 00:30
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